27.11.2023 – Über Sexismus, Feminismus und den Misthaufen der Geschichte

Plattencover aus einer Ausstellung der Browse Gallery im Kreuzberger Bergmannkiez über die Arbeit der britischen Grafikdesign-Agentur Hipgnosis , die vor allem in den Siebzigern legendäre Pop-Plattencover gestaltet hat. Jeder, der auch nur 10 Vinyls aus der Zeit besaß, hatte mehrere Hipgnosis im Schrank. Eine jener Ausstellungen, die man in high spirits verlässt. Die Cover, oft an Duchamps und Magritte angelehnt, waren eine vergnügliche Reise in die eigene Vergangenheit, überall tönte aus Boxen laute Musik der Platten, wir unterhielten uns lange und angeregt mit den Machern, ein skurriler, lebendiger Engländer dabei, der teilweise früher an den Covern mitgearbeitet hatte und jede Menge Hintergrundanekdoten kannte. Es kann auch sein, dass der Geruch von inspirierenden Kräutern das Ganze umwehte. Der natürlich von draußen hereinkam. Wir verließen die Ausstellung in wirklich bester Laune, high spirits, und beglückten den Kiez auf dem Weg zum abendlichen Cava in der Marheineke Markthalle mit lauten a capella-Versatzstücken aus der damaligen Popkultur. Es erinnerte mich an meine Zeit als Sänger der Pychopunkband „Flying Sackbarrow Brothers“. Es war schrecklich. Amüsant.

In den Gesprächen mit den Ausstellungsmachern gab es einen kurzen Moment von Anspannung. Wir sprachen die Tatsache an, dass nicht wenige Cover der damaligen Zeit nach heutigen Maßstäben als sexistisch zu bezeichnen sind, siehe das an peinlicher Plattheit nicht zu überbietende Exemplar oben, und manches heutzutage ein „no go“ sei. Wie das Cover von Led Zeppelins „Houses oft he Holy“, auf dem verfremdet nackte Kinder abgebildet sind. Fotos in der Ausstellung von den Aufnahmearbeiten zeigen tatsächlich die nackten Kinder, die den ganzen Tag in der unwirtlichen Gegend über die Felsen kraxelten . Unser Engländer fragte leicht angepisst zurück, ob wir Zensur ausüben wollten. Was nicht unser Thema war.

Die Cover der Ausstellung sind eine exemplarische Reise durch die Pop-Kulturgeschichte der 70er, Zeitgeist-Bilder.

Allerdings aus einem spezifischen Kultursegment, dem Pop. Es gab natürlich auch Kultur-Segmente, in denen schon damals Cover wie das Obige völlig verpönt waren. Im Feminismus z. B. der zweiten Welle, der erreichte Mitte der 70er seinen Höhepunkt, damals noch als politisch-feministischer, kollektiver Solidaritätsakt in Abgrenzung von patriachal-kapitalistischer Herrschaft verstanden. In der Folge entwickelte sich daraus eine Konzentration auf die kulturelle, individuelle „Geschlechtsidentität“. Was sich heute als Identitätspolitik der finstersten Art darstellt, bei der diverse Minderheiten sich in einem Wettbewerb überbieten, wer denn nun die am meisten diskriminierte sei. Das Utopia dieses entsolidarisierten, neoliberalen Wettrennens (gegen andere Minderheiten) akademischer Mittelschichts-Trullas ist eine gutbezahlte, unbefristete Stelle in einem Gleichstellungsbüro.

Was bei einer derartig skizzierten Entwicklung am Ende rauskommt, ist im Spiegelinterview mit Ruth Halperin-Kaddari nachzulesen, einer israelische Frauenrechtlerin und Rechtsprofessorin. Sie beschreibt die barbarischen Vergewaltigungen und Ermordung israelischer Frauen als Folge des Überfalls der Hamas-Faschisten am 7.10 und die Reaktionen von internationalen Frauenrechtsorganisationen auf ihre Bitte um Stellungnahme, Zitat:

„Ich habe an UN Women geschrieben, an das Komitee zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau der Vereinten Nationen, an die Uno-Sonderbeauftragte für Gewalt gegen Frauen und an weitere Uno-Institutionen und internationale Frauenrechtsorganisationen. Die Reaktion war erschütternd: Viele antworteten gar nicht. Nur wenige veröffentlichten Statements, die dann aber sehr generell die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten bemängelten. Keine der Erklärungen erwähnte die sexuelle Gewalt. Das ist enttäuschend, gerade von UN Women, eine Organisation, die geschaffen wurde, um sich genau um solche Vorfälle zu kümmern. Als damals klar wurde, dass Frauen im Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine Opfer sexueller Gewalt wurden, hat UN Women zügig reagiert und eine umfassende Untersuchung gefordert. Ich sehe hier einen Doppelstandard .…  Es gibt schon einen generellen Mangel an Empathie Israel gegenüber vonseiten der linken Community weltweit.“

Mir ist beim Lesen des Interviews zweimal regelrecht übel geworden: Schlimm bei der Schilderung der barbarischen Hamas-Grausamkeiten gegen die Frauen und, abgemildert, aber immer noch übel genug, bei der völlig empathielosen Reaktion vermeintlich fortschrittlicher Frauenorganisationen. Wenn das Euer Feminismus ist, Mädels, dann gehört er ebenso auf den Misthaufen der Geschichte, wie alles, was links blinkt, aber real rechts antisemitisch abbiegt.

24.11.2023 – „Und? Wie isses?“ – „Muss ja. Was soll’s. Und selber?“ – Hör bloß auf!“

BILD

Ganz normale Theke in ganz normaler Kneipe mit ganz normalem Bier. Im ehemaligen hannöverschen Arbeiterviertel Linden gibt es unzählige Szenekneipen, aber fast keine „normale“ Kneipe mehr. Ein Ort, wo Vereinssitzungen bei Grünkohl und Brägenwurst stattfinden, sich Reste von SPD-Ortsvereinen zur Jahreshauptversammlungen treffen und sich existentialistisch gegründete Dialoge abspielen: „Und? Wie isses?“ – „Muss ja. Was soll’s. Und selber?“ – Hör bloß auf!“ Ehemalige Arbeiterkneipen, ein aussterbendes Kulturgut. Es gab in Linden Häuser, in denen zwei Kneipen existierten, eine im Parterre und eine im Keller. Aus, vorbei.

Das Verschwinden solcher Orte von kollektiver Identität und die parallele Nomadisierung der Gesellschaft, also ihre Zerlegung in frei flottierende, vagabundierende Individuen, hat mit dazu beigetragen, kollektive Widerstandskräfte gegen die neoliberale Variante des Kapitalismus zu atomisieren, Bindungskräfte sowohl an konsensuale Normen als auch an gesellschaftliche Großorganisationen und Wertegemeinschaften zu schwächen und nur noch zwei Götzen auf dem Altar allgemeiner Verehrung bestehen zu lassen: Das eigene Ich und Geld. Die Fratze der Folgen dieser Entwicklung lacht uns jeden Morgen aus den breaking news an: Auch in Deutschland werden wir wohl wie in England demnächst ein Einsamkeitsministerium brauchen, steiler Anstieg von Gewalt in der Gesellschaft , psychische Erkrankungen explodieren, gerade bei jungen Leuten und in ganz Europa ist der Faschismus auf dem Vormarsch. Im aktuellen Fall Geert Wilders in den Niederlanden von den Bürgermedien vornehm Rechtspopulist genannt. Den Begriff Faschismus scheuen die Bürgermedien wie der Teufel das Weihwasser. Nachvollziehbar, ist jener doch Kind ihrer Mitte und sie müssten sich mit unangenehmen Selbstreflexionen und Selbstkritik beschäftigen, wollten sie diesen Vormarsch nachhaltig analysieren.

Auf die nächsten Umfragewerte der AfD bin ich gespannt. Ob sie in der Ostzone das erste Mal die 40 Prozent-Marke knackt? Und bei der Europawahl am 9. Juni 24? Stärkste Partei? Der triumphale Erfolg von Wilders dürfte ihr ebenso in die Karten spielen wie das Haushaltschaos der Ampelmänner und das erbärmlich opportunistische Verhalten der CDU in dieser Causa.

Ganz zu schweigen von solchen Prozessen wie dem Anwachsen der Gewalt. Vor allem im öffentlichen Raum registrierte das Bundeskriminalamt eine Zunahme. So stieg die Zahl der Gewalttaten auf Straßen und Plätzen um knapp 14 Prozent auf rund 18.000 an, auf Bahnanlagen um 28 Prozent und in Gaststätten um 53 Prozent.

Gründe: Mit dem Wegfall der letzten Coronaeinschränkungen im Frühjahr sind die Menschen wieder deutlich mehr unterwegs als zu Pandemiezeiten. Erhöhte Mobilität erzeugt mehr Tatanlässe.

Zusätzlich, und jetzt geht es ans Eingemachte: Infolge des Ukrainekriegs schossen die Preise in die Höhe, die Inflation wurde laut Umfragen zu einem der drängendsten Probleme der Menschen in Deutschland. Laut BKA korreliere dies mit der Zahl der Gewaltdelikte, in ökonomisch schwächeren Regionen fielen die Fallzahlen höher aus. Armut als Gewaltrisiko und das vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die AfD ihre höchsten Ergebnisse in ökonomisch schwächeren Regionen erzielt.

 Und jetzt wird es richtig dramatisch: Junge Männer aus den Maghreb-Staaten fielen deutlich häufiger als Mehrfach- und Intensivstraftäter auf, als ihr Anteil an der Bevölkerung es vermuten ließe. Und das hat nicht nur mit dem erhöhten Konfliktrisiko in Flüchtlingsunterkünften zu tun, denn dort sind auch junge Männer aus anderen Kulturkreisen untergebracht, die nicht in dem Ausmaß signifikant auffällig sind.

Man muss kein PR-Genie sein, um sich die nächste Kampagne nicht nur der AfD auf Basis dieser Fakten auszumalen.

Allerdings gehören auch für unabhängige Linke bisherige liebgewonnene Grundsätze auf den Prüfstand, was Migration angeht. Aus der geschilderten Maghreb-Gruppe resultiert ein erheblicher Prozentsatz des militanten migrantischem Antisemitismus. Und angesichts des einheimischen linken und rechten Antisemitismus, von dem in der Mitte ganz zu schweigen, ist das das letzte Importgut, was ich mir flächendeckend hier wünsche. Angesichts solcher schmerzhafter Wahrheiten werden Sie, liebe Leserinnen, verstehen, warum ich mich nach Flüssigkeitsgetränkten Dialogen sehne wie: „Und? Wie isses?“ – „Muss ja. Was soll’s. Und selber?“ – Hör bloß auf!“

23.11.2023 – Über die Abwesenheit von Routine, Normalalltag und Langeweile.

Aus den Archiven, Wochenblatt 07.08.2013. Kunst am Kiosk. Ich weiß nicht, was die schrägste Kunst-Aktion war, die ich gemacht habe, aber die gehört mit unter die Top 5. Musik, Performance, Kabarett im laufenden Betrieb eines Kiosks. Kioske sind eine hannöversche Institution, in Berlin sind das Spätis, im Pott Büdchen. Verkaufsstationen jenseits von Supermärkten für den täglichen Bedarf wie Alkohol, Zigaretten, Süßigkeiten, Zeitungen, fast rund um die Uhr geöffnet, überwiegend von Familien mit ausländischen Wurzeln betrieben und von nicht zu unterschätzender sozialer Funktion im Kiez. Treffpunkt, Austausch, Nachbarschaftshilfe, vielfach für Menschen, die sich Kneipenbesuche nicht leisten können. Letzter Ort gesellschaftlicher Teilhabe. Der türkische Imbiss „Hades“ in meinem Kreuzberger Domizil ist ein Hybrid zwischen Kiosk und Kneipe. Manche dieser Institutionen sind „Kult“, wie der Hades oder auch Onkel Olli’s Kiosk oben, in der studentisch und migrantisch geprägten Nordstadt von Hannover. Onkel Olli war Gründungsmitglied und Ikone der hiesigen „Die Partei“ und für unsere Aktion sofort bereit. Schade, dass es von der Aktion kein Video gibt. Die meisten Leute würden vermutlich glauben, dass sei gefakt, was da passierte, sowas gäbe es in Wirklichkeit nicht.

Was diese Orte auszeichnet: Man weiß im Gegensatz zu normaler Restauration oder Kneipe nie so genau, was demnächst passiert. Es ist also die Abwesenheit von Routine, Normalalltag und Langeweile.

Und es ist eine andere soziale Wirklichkeit.

Politikerinnen, Verbandsfunktionäre, die meisten sozialpolitischen Akteure haben überwiegend wenig Ahnung, wovon sie reden, wenn sie von Armut, Ausgrenzung, Spaltung der Gesellschaft reden. Sie reden über Menschen, statt mit ihnen. Das merkt man an Sprache, Habitus und in letzter Konsequenz auch an realer Politik. FDP, Merz und Konsorten ist es nicht zu verübeln, wenn sie aktuell den Klassenkampf von oben brutalisieren. Sie vertreten ihr eigenes Interesse und das ihrer Klasse. (Wobei ich mich bei manchen Charaktermasken aus CDU, FDP, aber auch rotgrün, frage, ob die sich darüber im Klaren sind, dass sie keinesfalls zur herrschenden Klasse gehören, sondern bestenfalls zur Kaste der Handlanger. Aber das ist eine andere Geschichte.) Aber bei Anderen frage ich mich schon, wann die das letzte Mal für wie lange aus ihrer Blase rausgekommen sind und in wessen Interesse die Politik oder ihren Job machen …

Manchmal wird die reale Politik aber regelrecht von öffentlicher und veröffentlichter Meinung überrollt. Vor nicht allzu langer Zeit war weitgehend unstrittig, zumindest jenseits der notorisch-neoliberalen Dauerquerulanten, dass die Umbenennung des stigmatisierenden Begriffs „Hartz-IV“ in Bürgergeld ebenso notwendig sei wie die ausstehende Erhöhung um 61 Euro im Monat ab 01.01.24, um wenigstens ansatzweise die enorme Inflation gerade bei Grundnahrungsmitteln abzufedern. Nicht annährend ausreichend, das Ganze. Alle Expertinnen von Sozialverbänden gehen davon aus, dass mindestens 200 Euro mehr für eine menschenwürdige Existenz notwendig wären. Aber wo kämen wir da hin, wenn wir auf Fachleute hören, siehe auch Klimaschutz.

Innerhalb kürzester Zeit ist diese Diskussion vollständig gekippt, von Akzeptanz hin zu aggressiv ablehnender Abwehr und kein Schwein kann sich auch nur noch vage daran erinnern, dass vor ein paar Monaten, ach, was sag ich, paar Wochen, der Diskurs in eine komplett andere Richtung gegangen war. Und hinterher wundern sich alle im Chor, wieso die Demokratie-Feinde erdrutschartig wie gerade bei den Käsköppen in den Niederlanden eine Wahl nach der anderen gewinnen.

Es gibt Ressourcen, die sind endlich. Wie Erdöl. Und es gibt welche, die sind unbegrenzt. Wie Windkraft und Sonnenenergie. Und menschliche Blödheit.

22.11.2023 – Eitelkeit ist eine flüchtige Sünde

Aus dem Archiv, HAZ, 20.07.2013.

Die Situation hat sich seitdem drastisch verschlechtert. Als eine regelrechte Atombombe, deren vollständige Auswirkungen noch gar nicht abzusehen sind, hat sich das BVG-Urteil zur Verwendung der Corona-Kredite für den Klimafonds erwiesen, dass den Bundeshaushalten eine Lücke von ca. 60 Mrd. beschert hat. Vorerst 60 Mrd. Denn: Auch der 200 Milliarden Euro schwere Wirtschaftsstabilisierungsfonds dürfte vom Urteil betroffen sein. Da die FDP bisher konsequent gegen eine Aufhebung der irrsinnigen Schuldenbremse ist, was eine Erhöhung der Netto-Kreditaufnahme ermöglichen würde, und noch brutaler eine gerechte Steuerpolitik verweigert, mit einer Einführung einer Vermögensabgabe und höheren Erbschaftssteuern, bleibt nur eins: Im Haushalt muss alles auf den Prüfstand.

Das ist eine jener saublöden Politikphrasen, die für Frieda Normalverbraucherin erstmal übersetzt werden müssen. Also: Im Haushalt für Kriegsführung, vulgo Verteidigung, wird kein Cent gekürzt. Ebenso wenig wird kein Cent gekürzt bei Subventionen für Reiche und Spitzenverdiener wie beim Dienstwagenprivileg, Ehegattensplitting und Kerosinsteuer. Es wird nach dem umgekehrten Robin-Hood-Prinzip verfahren: Den Reichen geben, den Armen nehmen. Es wird im Sozialhaushalt gekürzt, also bei denen, die im kommenden Winter ab Monatsmitte überlegen müssen: Heizen oder Essen.

Das ist die Übersetzung der Phrase: Es muss alles auf den Prüfstand.

Merz und die FDP haben die Katze aus dem Sack gelassen. Das ist eine Kriegserklärung an die Armen, nackter Klassenkampf von oben.

Obendrein ist es eine fiskalpolitische Eselei sondergleichen. Das Verfahren, in eine Krise hineinzusparen, nennt man prozyklisches Verhalten, damit wird eine ohnehin schwächelnde Wirtschaft mangels staatlicher Investitionen abgewürgt. Arbeitslosigkeit und Demokratieverdrossenheit steigen.

Richtig wäre hier deficit spending , also antizyklisches Verhalten nach Keynes, Erhöhung der Investitionen, eine höhere Nettokreditaufnahme.

Mit prozyklischem Verhalten haben wir Deutschen schon mal durchschlagende Erfahrungen gemacht. Der damalige Reichskanzler Brüning hat in die Krise Anfang der 30er brutal prozyklisch in die Krise derart hineingespart, dass er als Konsequenz des folgenden Elends Hungerkanzler genannt wurde. Dieses soziale Elend hat Adolf Hitler den Aufstieg zum Reichskanzler ermöglicht.

Geschichte wiederholt sich nicht, nur als Tragödie und als Farce. Unterstellt, Hitler sei die Tragödie gewesen, so wird die Farce, die uns jetzt droht, noch schlimm genug.

Und wo bleibt das Positive? Die richtige Reihenfolge und Schwerpunktsetzung im HAZ-Artikel oben. Erst ich, dann nix, danach Kirchen und Verbände, aber auch nur am Rande, eigentlich mehr ich.

Aber richtig tröstlich ist das auch nicht. Eitelkeit ist eine flüchtige Sünde. Was bleibt, ist Wut. Darüber, dass die Verhältnisse so sind, wie sie sind. Und dass niemand weiß, wie schlimm sie noch werden.

19.11.2023 – Der veränderte Blick

Plakat Zielona Gora, Boxhagener Platz, Berlin. Die Zielona Gora ist ein alternatives Kulturzentrum mitten in einem Berliner Epizentrum des Partygeschehens, in Fhain, vulgo Friedrichshain, oder auch Fuckhain genannt. Eingeweihten reicht das Kürzel auf dem Plakat „Vegane VoKü“ zur Einordnung. Für den Rest: VoKü = Volksküche, günstiges Essen für die revolutionären Massen, eingedenk des Brechtschen Mottos: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Links von den Genossinnen dort kommt nur noch die Wand, es geht bunt, divers, kämpferisch, kreativ, solidarisch zu. Ich habe mich früher immer gefreut, wenn ich inmitten der toten Konsumzone des Boxi, wie der Boxhagener genannt wird, die Berlinerin neigt zur Niedlichkeitsform, an der Zielona Gora vorbeikam. Ein Rest Rebellion, anderes Leben inmitten einer von Gentrifizierung und saufender und kotzender Jugend der Welt zernagten Gegend. Auch wenn vegane VoKü nicht so mein Ding ist.

Hoch die Internationale Solidarität, so schwebt ein unsichtbares Motto über dem Hort von Fortschritt und Revolte.

Bis auf eine kleine Soli-Ausnahme: Israel. Es geht nur um Palästina, immer. Ein klassisches antisemitisches Framing, die Umwidmung der Opfer zu Tätern auf dem Weg des Verschweigens. Unsichtbar hängt neben dem Gaza-Plakat ein zweites: Volle Solidarität mit der faschistischen Hamas und ihrem Vernichtungskampf gegen Israel.

Das ist der antisemitische Tenor, der die meisten linksradikalen Zusammenhänge eint. Übrigens auch die Berliner Clubszene . Das ist insofern unfassbar, als das größte Einzelmassaker der Hamas-Terrorbanden mit über 250 Toten bei einem Tanzfestival stattfand, wo viele Frauen vergewaltigt und abgeschlachtet wurden . Ein direkter Angriff der Faschisten auf genau die bunte und diverse Kultur, die linke Zentren und Clubs ausmacht.

Das Schweigen der genannten Szenen zu den Opfern, ihre offene Sympathie mit den Tätern ist ein weiteres Indiz dafür, dass Antisemitismus nicht nur ein politisches Verbrechen ist, sondern eine tiefe psychische Störung. Ich halte nicht viel von einer Psychatrisierung politischer Konflikte, weil da mitunter für deren Lösung so esoterische Vorschläge wie Selbsthilfegruppen und Tai Chi rauskommt. Aber im vorliegenden Fall überschreitet das Motiv für den Antisemitismus zum Beispiel jenen Neidgetriebenen (auf die Rothschilds dieser Welt z. B.) Antisemitismus so fundamental, dass im Umkehrschluss auch psychische Störungen in Frage kommen. Für die Praxis sind mir allerdings die Meisen dieser Bekloppten wumpe, Hauptsache, ihre Orte der Artikulation und Kulmination von Antisemitismus verschwinden von der politischen Landkarte. Und so ertappte ich mich neulich vor der Zielona Gora bei einem anderen Blick.

Nämlich dem Wunsch, der Laden möge geräumt werden, platt gemacht und von einem Investor aufgekauft. Am besten einem, der Rothschild heißt und da Luxuslofts hinbaut. Find ich auch Scheiße, aber allemal besser.

Der veränderte Blick, Teil 2: Das FDP-Verkehrsministerium plant mit Unterstützung des neuen Berliner Autosenats eine Verlängerung der A 100 mitten durch Fuckhain in die City hinein. Eine eigentlich irrsinnige Maßnahme, die auch den Tod zahlreicher Clubs bedeuten würde. Ich bin im Sommer die Strecke entlang geradelt, ein buntes Biotop von lebendiger Szene, und ich hegte volle Solidarität mit all den Transpis, die entschlossenen Widerstand gegen die Räumungen ankündigten.

Heute, mit dem veränderten Blick wäre meine Forderung: Ausbau der A 100, 12spurig, bis nach Kreuzberg und über die komplette Sonnenallee.

Ich arbeite gerade an einem Transpi mit der Forderung und werde Fotos von der Hängung hier veröffentlichen. Bleiben Sie drin, liebe Leserinnen.

18.11.2023 – Hierzulande

S-Bahnhof Neukölln, 60er Jahre. Ausstellung „Hierzulande“ mit Fotos von Robert Lebeck  Damals gab’s noch flächendeckend Sinalco und statt Fishermens Vivil.

Heute Hierzulande als Trauerspiel zu bezeichnen, hieße die Realität schönzureden.

Wenn ich jetzt durch den Kiez Sonnenallee/Karl-Marx-Str. in Neukölln schweife, merke ich, dass die letzte Krise, der Überfall der Hamas am 7. Oktober, Spuren bei mir hinterlassen hat. Mein Blick auf die überwiegend arabische Community da ist ein anderer geworden. Ich habe vor Jahren einer verstorbenen Freundin mit familiären palästinensischen Verbindungen den Kiez gezeigt. Ihr Kommentar: „Hier ist es wie in Ramallah.“

Was ich damals, bis vor kurzem, als skurril, exotisch, bunt, anders empfand, ähnlich meinetwegen einer Radtour durch die Villengegend im Grunewald, einem Spaziergang durch Marzahn oder gar dem Touri-Inferno in Mitte, nehme ich heute mit einer Grundströmung von Abwehr, Aggression und Fremdheit wahr. Ich habe hier im Blog schon früher meine Abneigung gegen migrantische, vorwiegend arabische, Macho-„Kultur“ artikuliert, mit den Merkmalen von Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie. Diese so offen zutage getragenen Minderwertigkeitskomplexe der jungen Testosteronis werden dann gerne in gigantischen Prollschüsseln, mit heulendem Motor, quietschenden Reifen und 100 km/h am helllichten Tage auf der Sonnenallee kompensiert. Muss ich nicht haben und daher sporadisch früher meine Resozialisierungs-Vorschläge für die Jungs, sich beim Minenräumen in Syrien, Irak abzureagieren. Schreiben, zumal satirisches, als Katharsis. Im Lachen löst sich Aggression auf.

Heute, nach Wochen von Pro-Hamas Demos und antisemitischen Ausschreitungen dort und nicht nur dort, ist mir Heiterkeit flöten gegangen und hat einem xenophoben Reflex Platz gemacht: Was wollen die überhaupt hier? Natürlich rufe ich mich dann zur Ordnung und rationalisiere das durch. Aber welch schwaches Instrument der Kopf, der Verstand mittlerweile geworden ist, sehen wir bei jedem Blick ins Hierzulande.

Ich bin in diesen Konflikten nicht das Opfer und mein Mitgefühl gilt den Opfern des Hamas-Terrors, auch den palästinensischen, denn jedes tote Kind in diesem Krieg ist ein Opfer des faschistischen Hamas-Terrors. Diese Kinder würden noch leben, hätte die Hamas nicht diesen Irrsinn begonnen. Ich begreine hier also keinesfalls die Tatsache, dass sich mein Gemüt verfinstert, das hellt sich spätestens beim nächsten Besuch beim Georgier auf (Kleiner Hinweis aus der Metropole: Italiener sind out, man geht jetzt zum Georgier ) . Es geht mir nüchtern (noch) darum, jenseits der medial vermittelten Nachrichtenlage von der eigenen Mentalitätsverschiebung rückzuschließen auf grundsätzliche Mentalitätswandel in der Gesellschaft. Niemand ist eine Insel und die seit Jahren anhaltenden Polykrisen bringen etwas ins Rutschen, das irgendwann nicht mehr zu bremsen ist. Über ein „Wehret den Anfängen!“ sind wir bereits jetzt weit hinaus , Verrohung der Gesellschaft auf allen Ebenen.

Ich wette, bei einer Umfrage würde schon heute, keine sechs Wochen nach dem Hamas Überfall, ca. ein Drittel der Befragten Hierzulande behaupten, dass Israel am 7.10 den Gazastreifen überfallen hat. Steht ja bestimmt auch schon irgendwo so im Internet

16.11.2023 – Dauerbestrapst

Ich habe die beiden Filmplakate aus dem Blog vom 13.11 nebeneinander montiert, dadurch wird die Inkompatibilität der sie abbildenden Lebenswelten noch deutlicher. Links im Bild der Faschist aus dem ersten NS-Propagandafilm  überhaupt von 1933 und rechts das Plakat von „Rocky Horror Picture Show“ 40 Jahre später, vermutlich mit dem Mund vom Hauptdarsteller Tim Curry, der im Film, dauerbestrapst, als Dr. Frank. N. Furter das biedere Ehepaar Janet (Susan Sarandon!) und Brad verführt.

Den Film kann man als Hymne (er basierte auf einem Musical) auf das Leben, auf Diversität, auf Lust sehen. Die Ästhetik des Faschismus dagegen zielt grundsätzlich auf eine Glorifizierung des Todes. Die gesamte Rocky-Horror-Picture-Show-Crew wäre im Faschismus im KZ gelandet und eine Aufführung von Film oder Musical im Herrschaftsgebiet der Hamas, von Islamisten wie Taliban, Iran, Saudi-Arabien etc., ist ungefähr so realistisch wie die Einführung des Sozialismus hierzulande, also eine völlig groteske und absurde Vorstellung. Die Ikonographie des SA Mannes Brand ist ein einziger lebensverneinender Grusel: Der ganze Körper ein starrer Panzer, in Abwehr von allen weichen, fließenden, gar weiblichen Elementen, fern jeden Verlierens im Rausch, in der Auflösung der Körpergrenzen; als reines unlebendiges Ornament bereit, aufzugehen in den endlosen Marschkolonnen der Nazis, die nur ein Ziel und eine Sehnsucht kannten: Terror und Tod. Wie die Hamas.

Deren Überfall auf Israel ja kein Interesse verfolgte. Nur Terror und Tod, auch den eigenen. Ein wahnhaftes, irrationales Agieren, denn der Vernichtung des Staates Israel und seiner Bevölkerung, dem erklärten Ziel der Hamas und der Islamisten, sind sie natürlich keinen Schritt näher gekommen. Das unterscheidet diesen Krieg auch vom verbrecherischen Überfalls Russlands auf die Ukraine: so imperialistisch dieser auch daherkommt, verfolgt er doch ein logisch nachvollziehbares, wenn auch moralisch zu verurteilendes, Interesse, mit konkreten Zielen wie der Erweiterung des eigenen Herrschaftsbereiches, allerdings nicht um jeden Preis. Hier liegt also eine Kosten-Nutzen-Kalkulation vor, die in sich die Möglichkeit von Verhandlungen birgt. Mit Faschisten wie der Hamas kann es keine Verhandlungen geben. Sie kennen kein Recht, keine Verträge, keinen Kompromiss. Die Forderung nach einem Waffenstillstand ist daher naiv, den würde die Hamas sofort zur Aufrüstung und weiterem Terror benutzen. Israel begeht in diesem von der Hamas begonnenen Krieg weder Völkermord noch bricht es das Völkerrecht, selbst der Angriff auf das Krankenhaus, so schrecklich jedes Opfer dort ist, ist durch das Völkerrecht gedeckt. Das kann man verurteilen und bedauern, es ist aber derzeitige Rechtsgrundlage.

Diese Zusammenhänge sollten sich alle Pro-Palästina Pseudlinken, Kultur-Bolschewisten und Intelligenzdarsteller hierzulande mal vor Augen führen bei ihren „Cease Fire“ Appellen, offenen Briefen und sonstigen Faschismus-Sympathie-Verrenkungen, notdürftig verborgen unter dem rotfleckigen Mäntelchen von Dekolonisation und Antiimperialismus.

Und sich auch gerne mal die Frage stellen, wo sie ihrem im Zweifel hedonistischen Lebenswandel lieber nachgehen würden: in Tel Aviv oder in Hamashausen.

Die Dimension dieser Spaltung auch unserer Gesellschaft gerade im Kultur- und Intelligenzbereich – das Gerede von einer Linken hat sich ja erstmal final erledigt – zwischen Antisemiten und jenen, die unbeirrt für das Existenzrecht Israels einstehen, ist noch gar nicht abzusehen. Diese Spaltung ist fundamental und von anderer Natur als die zu Corona.

13.11.2023 – Ein Lebensbild aus unseren Tagen

Aus der Ausstellung „Großes Kino „, Filmplakate von 1900 bis 2020, Kulturforum Berlin. Entlang der Originalplakate entfalten sich die Epochen der letzten 120 Jahre, ästhetischer Genuss, politische Bildungsreise und Wiederbegegnung mit persönlichen Filmikonen, wie „Rocky Horror Picture Show“.

Pralle Sinnlichkeit, ambivalent, mit bedrohlichen Elementen. Die Ausstellung ist ein Parcours an Emotionen und lachen kann man auch. Bei „SA-Mann Brand“ oben war es das Lachen, das im Halse stecken bleibt angesichts des prophetischen Untertitels: Ein Lebensbild aus unseren Tagen.

Übrigens einer der seltenen Momente, in denen im öffentlichen Diskurs das Symbol des Hakenkreuzes sanktionsfrei zu besichtigen ist.

12.11.2023 – Hähnchen im Hades

Samstag ist Hähnchen-Tag im Hades, dem türkischen Imbiss in unserem Haus in Kreuzberg. Tayfun, der Wirt, sammelt vorher Bestellungen und schmeißt dann Samstags seinen kleinen Hähnchengrill an. Rentnerinnen, Studierende,Intellektuelle, Arbeiter, Weiss und Schwarz, vom Hipsterkiez gegenüber holen sie Pizzen ab, im Hintergrund plärrt die Sportschau. Es geht unprätentiös zu. Jetzt ist die Jahreszeit, in der von innen die Scheiben beschlagen und die Raucher draussen an den restlichen Tischen die Kapuzen hochklappen.

Kurz vorher in der coolsten Galerie des Universums. Alles weiss, so blendend weiss, dass es vor den Augen flimmert und man den Raum kaum als dreidimensional wahrnehmen kann. Keine Tische, Deko, nichts, nur weiss. Und die Kunst. Die ist allerdings voll Scheisse. Saumässiges Handwerk und niemand weiß, was will uns der Pinselquäler sagen. Ort des Geschehens Karl-Marx-Allee, im coolen Friedrichshain. Hier, in diesem grandiosen, riesigen städtebaulichen Ensemble im Stil des Sozialistischen Realismus erinnert noch manches an die untergegangene DDR. In einem Imbiss, mit Stuck an der Decke, sitzen drei Rentnerinnen, jenseits der 80, und löffeln Soljanka. In der Karl-Marx-Allee haben die Funktionseliten der DDR gewohnt. Teile der Straße wurden nach dem Mauerfall von der Börsennotierten „Deutsche Wohnen“ übernommen.

In die Aufgänge der dortigen U-Bahn Stationen pfeift ein eiskalter Wind. Dabei ist es noch garnicht nahe Null. Das kommt ja erst noch.

11.11.2023 – 11.11 Uhr Karnevalsbeginn

Eckkneipe Mariannenplatz, Kreuzberg. Rauchschwaden, Trinker, Altlinke, über allem thronend eine resolute Wirtin.

Neukölln in den 60ern, Foto Robert Lebeck. Ausstellung Galerie Freiraum für Fotografie, Waldemarstr. 17, Kreuzberg.

Die Bilder, die Gegenwart und Vergangenheit verbinden, haben einen inneren Zusammenhang. Frühere proletarische Lebenswelten, verbunden durch Hoffnung, Aufbruch und Niedergang. Eine deutsche Geschichte eines halben Jahrhunderts, erzählt in zwei Bildern, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben.

Was bleibt, ist ein Gefühl von närrischer Welt, die mit einem Bein über dem Abgrund tanzt und mit dem anderen Helau und Alaaf grölt und Luftschlangen wirft.

Und der morgendliche Zigaretten-Qualmgestank in meinen Klamotten …