31.07.2022 – Über verhängnisvolle Gleichzeitigkeiten

Hortensie. Nicht zu wenig gegossen, sondern von der Sonne, von oben verbrannt. Die stand jahrelang an diesem für Hortensien idealen halbschattigen Ort. Geht nicht mehr. Auch bei anderen Halbschattengewächsen wie Funkien ähnliche Phänomene. Ich werde also ein Probebeet winterharter Sukkulenten anlegen, mit Trinkwasser zu gießen finde selbst ich als Nichtöko mittlerweile obszön. Die Klimakatastrophe schleicht sich auf ganz leisen Pfoten in unsere Gärten, in unsere glutdampfenden Cities, in schlecht gedämmte Dachgeschosswohnungen, wo das Leben im Sommer zur Hölle wird, in unsere Urlaubsziele am Mittelmeer, wo es Wasser nur noch in zwei Zuständen geben wird: Meerwasserversalzen oder gar nicht. Wir sind mitten drin. Wie es enden wird? Düsteres, dystopisches Fazit der BBC-Umweltikone Roger Harrabin: Die technologischen Lösungen gegen eine Klimakatastrophe kommen zu spät und die kapitalistische Gier wird uns den Rest geben. Zitat: „Umweltschützer wurden für … Warnungen lange verspottet, leider sieht es immer mehr danach aus, dass sie recht behalten werden. Ich bin froh, dass ich bis Mitte des Jahrhunderts unter einem Baum begraben liegen und es nicht mehr herausfinden werde.“

Ich fröne derweil meinem persönlichen Survivaltraining, Flanieren im Betonmoloch Berlin bei 38 Grad. Wobei Berlin im Unterschied zu anderen Metropolen eine grüne Wellness-Oase ist. Im fast völlig entgrünten Paris wird menschliches Leben im Sommer zum Survival-of-the-fittest-Contest. Ein Aufenthalt in einem der zahlreichen schattigen Berliner Parks erfreut die erhitzte Haut, sorgt aber mitunter für Wallungen im Kopf. Wie der Anblick dieser Statue, vermutlich bis ziemlich sicher aus den 50ern.

Frauenbild der 50er. Demütig auf den Knien, dem männlichen Blick und Zugriff schutzlos ausgeliefert. Das kann als zeitgeschichtliches Dokument eines obsoleten Frauenbildes gelesen werden. So weit, so legitim. Es kann aber auch als tagesaktuelle und bitter-wirkmächtige Männerphantasie und Projektion von abartigen Bildern im Kopf gelesen werden. Siehe Abtreibungsurteil des Supreme-Courts in den USA, wo eine Bande religiöser, faschistoider Fanatiker ihre Phantasien vom männlichen Zugriff auf den weiblichen Körper Gesetzesrealität werden ließ. Von wegen 50er des vorigen Jahrtausends.

So wie wir jetzt schon mitten in der Zukunft der Klimakatastrophe sind, so hält uns die vermeintliche Vergangenheit weiter und immer mehr im Würgegriff. Sollte mich wundern, wenn wir zwischen dieser verhängnisvollen Gleichzeitigkeit der Zeitebenen nicht zerrieben werden.

Parmesan und Partisan,

Wo sind sie geblieben?

Parmesan und Partisan,

Beide wurden sie zerrieben.

(Matthias Beltz https://de.wikipedia.org/wiki/Matthias_Beltz )

27.07.2022 – Hinter der kalten Heizung lauert die Seuche

Verchipte aller Länder im Kampf gegen den Faschismus.

Zitat aus der Parallelwelt der Fakten und der Wissenschaft: „Die durchschnittliche Lebenserwartung betrug im Jahr 2021 für neugeborene Mädchen 83,2 Jahre und für neugeborene Jungen 78,2 Jahre. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, hat sich die Lebenserwartung von Neugeborenen im Vergleich zum letzten Vorpandemiejahr 2019 deutlich verringert: Bei Jungen um 0,6 Jahre, bei Mädchen um 0,4 Jahre. Hauptgrund für diese Entwicklung sind die außergewöhnlich hohen Sterbefallzahlen während der Coronawellen. Statistisches Bundesamt vom 26.07.2022.

Ich bin gespannt, wie sich die Interdependenz von Seuchengeschehen und Energiekrise im Winter auf Gesundheit und gesellschaftliche Lage auswirkt. Die Coronawelle im Winter ist so sicher wie die Tagesschau um Acht und massenhafte Energiearmut auch. Da der Mensch evolutionär – und auch sonst – eher ein Halbaffe ist, erschrickt ihn nur das, was er sieht und spürt: Der Säbelzahntiger vor der Höhle und die kalte Heizung ab November. Also juckt ihn im Moment am Badesee nix, ausser Sonnenbrand. Förderlich für das Immunsystem sind kalte Heizungen, unbezahlbare Grundnahrungsmittel und Mieten sicher nicht. Es bleibt also abzuwarten, wie die epidemische und gesellschaftliche Situation wird, wenn die Erkenntnis mit dem Holzhammer der Realität vermittelt wird. Mit der Abstraktion von Wissenschaft und Fakten geht’s ja offensichtlich nicht.

Wenn’s nach mir ginge, müßten die Energieversorger sofort an jeden Haushalt einen Brief schicken, in dem steht: „Ab 01.09 zahlst Du statt 90 Euro 270 im Monat Abschlag plus 900 Euro Nachzahlung und Deine Lebensmittel werden Dich im Winter statt 200 Euro 250 Euro im Monat kosten“. (Beispielrechnung! Beziehen Sie, liebe Leserinnen, das nicht auf sich. Soviel bezahlen Sie doch locker für einmal Essengehen)

Aber nach mir geht’s ja wie immer nicht.

 

 

24.07.2022 – Arsch und Eimer


CSD Berlin 23.07.22.
Der CSD Umzug ist mit ca. 500.000 TN ein in vieler Hinsicht gesellschaftliches Grossereignis und kann durchaus An- und Einsichten vermitteln. Er ist angesichts wachsender Homo- und Transfeindlicher Hass-Verbrechen notwendig wie eh und je. Einerseits. Anderseits: Sein Motto: Gegen Hass, Krieg, Diskriminierung. Whow. Wie umstürzlerisch. Und jede Menge Diversity.
Dem Chronisten kamen da erhebliche Zweifel. Die Wagen waren alle gleich groß, hatten alle gleiche Fahnen, Parolen, die gleiche Musik, die Menschen auf den Wagen waren alle gleichen, jungen Alters, bewegten sich gleich, die TN marschierten alle in die gleiche Richtung, sahen gleich aus, hatten also Tattoos und ab und zu bunte Fähnchen umhängen, eine phantasievoll gekleidete Drag Queen war die absolute Ausnahme. Ich könnte das hier zu Tode reiten, geschenkt. Im Vergleich zum Karneval der Kulturen, einem anderen Berliner Grossevent, war es ein langweiliger Reichseinheitsbrei. Schlimmer: Ca. 80 Prozent der Wagen, die ich gesehen habe, waren von Konzernen und Banken, also jenen gesellschaftlichen Strukturen, die dafür verantwortlich sind, dass unser Planet zusehends unbewohnbar sind, und die an eben jenen Kriegen mitverdienen, die das Motto der CSD anprangerte. Soviel schiere Blödheit, kommerzielle Verlogenheit und moralische Impertinenz wie beim CSD ist mir lange nicht untergekommen. Diversity und Identität, es gibt kaum Begriffe, mit denen zur Zeit so viel vernebelt und verlogen wird. Postmoderne Arsch und Eimer.

Ebay mit Doitschlandfahne

Diversity? Flaschensammler mit Alditüte.

Working class queeroes. Der einzige Beitrag, der in die Nähe von gelungenen Humor kam.

Und am Ende muss irgendwer den Dreck wegmachen.

Wann kommt mal jemand auf die Idee, bei solchen Umzügen auch mal ein paar von den Kolleg*innen mitfahren zu lassen,  die den Dreck wegmachen …

21.07.2022 – Ab Morgen ist hier wieder Krisenkacke am Dampfen


Archivfoto 70er Szenekneipe? Wirtshaus Leydicke, Schöneberg, 2022.
Bei den Bands, die hier auftreten, dürfte mitunter die Hütte brennen. Bei der Enge vor der Bühne für mich allerdings in diesem Corona-Leben ein No-Go. Schade, ich halte mich dann an die Destillerie-Produkte (Persiko! Dass es den noch gibt, hat mich zu Tränen gerührt. Wie viele Monsterschädel verdanke ich diesem Anschlag auf die Gesundheit der Jugend der Welt…) von Wirt Raimon. Hier die Verse zu den Produkten, die ein kongenialer Kollege verfasst hat. Mit dem ich allerdings noch mal über Metrik, Jambus, Trochäus usw. usf. diskutieren muss.

Liebst Du des nachts das Risiko?
Versüße es mit Persiko!

Bei Streit, Unwohlsein und Gewitter
empfehlen wir `nen Magenbitter.

Sehnst Du Dich nach einem süßen Kuss?
Gönn Dir einfach Cacao-Nuss!

Bei Schwiegermutti zum Kreuzverhör?
Schenk ihr einfach ’nen Eierlikör!

Und wenn Du nicht mehr weiter weißt
hilft immer noch der Himbeergeist!

Es gibt magische Orte, wie das Leydicke, die betritt man und ist gefangen von der Aura. Die zu bestimmen allerdings schwierig ist, wie das mit transzendenten Dingen so ist. Es ist eine Mischung aus Abgewandtheit von der postmodernen Welt, sanft-melancholischer Heiterkeit, in einem Bild eingefrorene Erinnerungen an Vergangenes, aber auch fröhliches Versprechen auf ein lebendiges Hier-und-Jetzt. Und Raimon nicht zu vergessen, der mit seiner distanzlos-rustikalen, herzlichen Vereinnahmung jeden norddeutschen Distanzversuch zunichte macht.
Kein Wunder, dass am Wochenende die Jugend der Welt vor dem Etablissement die Nacht zum Tage macht. Was aber nicht mehr meins ist, ich ziehe eher Altern in Würde vor. So wird mich die milde Abenddämmerung hier wiederfinden, nach Besuch der Berlinale.
Ich grübelte im Zug nach Hangover darüber nach, woran mich das Setting da erinnert und warum gerade dieser Ort so meine Zustimmung findet. In meinem Garten, in einer verwunschenen Ecke, fast zugewachsen, fand ich eine Antwort.

Das gerettete Firmenschild der „Likörfabrik Ursula Bütow“. Eine Weinhandlung aus dem vorigen Jahrtausend, mit Produkten aus der eigenen Brennerei, wie dem besten Weinbrand des Universums. Dort gab sich die reifere Jugend der Welt dem alkoholischen Genuss hin, während der Regen durch das undichte Dach in bereitgestellte Töpfe und Eimer trommelte.
Auch bei „Leydicke“ und „Bütow“ wieder das Topos des locus amoenus.
Wenn es überhaupt einen Sinn im Leben gibt, dann den des behutsamen Sammelns solcher Orte wie kostbare Perlen.
Genug der Fluchten in weltferne Idyllen. Ab Morgen ist hier wieder die Krisenkacke am Dampfen. Russe. Gas. Corona. Inflation. Klima. To be continued …

20.07.2021 – Liebe Göttin, mach Putin tot.


Zigarettenautomat in meiner Stammkneipe „Leydicke“ mit Vorkriegs-Marken wie Garbaty und der aus Kreuzberg stammenden Muratti-Privat.
Vor dem Krieg ist nach dem Krieg, nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Die Geschichte der Menschheit ist eine Abfolge von Kämpfen unterschiedlicher Klassen gegeneinander um die Herrschaft, so Marx. Und demzufolge ist sie eine Abfolge von Kriegen, weil sich der Klassenkampf mit dem Sieg der herrschenden Klasse natürlich nicht auf einzelne Staaten beschränkt, sondern als Ausdruck seiner selbst immer auch in imperialistische Kriege mündet. Das Kapital war schon immer international, im Geschäft wie im Krieg, während der Pöbel in den jeweiligen Staaten, früher repräsentiert durch die Sozialdemokratie, in nationalen Kategorien dachte.
Hört sich schlimmer an als es ist. Nichts hasst das Kapital so sehr wie gestörte Geschäfte und da kann es durchaus auch friedensstiftende Momente haben. Am Ukraine-Krieg dürfte das Kapital nur begrenzt Interesse haben, die paar Waffenlieferungen und der Aufbau später, das ist nichts im Vergleich zu einer globalen Rezession und Profitverlust, wenn der Gashahn dicht bleibt. Ergo explodierte der Dax gestern binnen Minuten um fast drei Prozent als die Botschaft kam: Putin gibt wieder Gas. Das Kapital will kalkulierbare Verhältnisse und die liefert der Frieden eher. Also werden Wirtschaftsvertreter auf beiden Seiten Druck für Frieden machen.
Alles wird gut. Achten Sie auf den Dachs.
Auf der ethischen Seite befinden wir uns in einem Dilemma, was den Ukraine Krieg angeht. Klassische griechische Tragödie: Die Akteure können machen, was sie wollen, es endet in der Katastrophe. Schuldlos schuldig. Unterstützen „wir“ als Neo-Bellizisten Waffenlieferungen an die Ukraine, verlängern wir einen – für die Ukraine aussichtslosen – Krieg mit womöglich Hunderttausenden Toten und einem völlig verwüsteten Land. Plädieren „wir“ als versprengte Rest-Pazifisten für einen eingefrorenen Konflikt, also Waffenstillstand in Verbindung mit einem Waffen-Lieferstopp, ermuntern wir den Irren Putin womöglich zu weiteren Aggressionen, im Baltikum, gegen Polen etc.
Was auch im ersten Fall nicht auszuschließen ist, warum sollte er nach einem womöglich jahrelangen blutigen Krieg gegen die Ukraine nicht weitermachen. Die innere Dynamik von Terrorregimes, und auf dem Weg ist Russland, ist selten auf einen Status quo-Erhalt gerichtet. Terror nährt Terror und will mehr, siehe Hitler. Es sei denn, tragende Akteure sterben, wie Stalin und Mao. Das mildert den Terror dann, ohne seine Dynamik völlig auszuschalten.
Nichts wird gut. Diese tragische Situation vergiftet den Ton hierzulande, alle Akteure wissen, dass sie recht und unrecht zugleich haben und dass es keine ethisch vertretbare Lösung gibt. Bellizisten und Pazifisten punken sich in Diskussionen immer gereizter an. Was ich selber nicht nur einmal erlebt habe. In solchen Situationen bin ich froh, wenn es sich um Freunde handelt, bei denen man auf sicherem Eis wandelt. Meint: Bei allen Konflikten: Die Freundschaft trägt das. Das ist eine andere Situation als Coronaschwurbler, die sich auf so vielen Ebenen in eine Welt katapultiert haben, in der der Diskurs unmöglich ist
Also sollten alle Christinnen unter uns beten: Liebe Göttin, mach Putin tot.
Und wer im Besitz von Verstand ist, sollte hoffen, dass das Kapital Druck für Frieden macht. Vielleicht murkst ja irgendein Oligarch Putin ab, weil er nicht mehr auf seine Yacht kann.
Ich für meinen Teil hänge im Leydicke ab und kippe Schlehengeist in mich. Was gut für inneren Frieden ist.

19.07.2022 – Kann aber auch der Schlehenbrand gewesen sein.


Geschirrsattlerei. Berlin-Schöneberg.
Es gibt bei bildgebenden Medien verschiedene Einstellungsgrößen wie Totale, Halbtotale, Großaufnahme. Da unterscheiden sich Super 8, Video, Smartphone-Foto etc. nicht. Diese Einstellungen produzieren beim Betrachter unterschiedliche Wahrnehmungen und Emotionen. Das Aufkommen von bildgebenden Medien wie Film und Fotografie im 19./20. Jahrhundert hat unsere Wahrnehmung vollkommen umstrukturiert und alle Künste revolutioniert. Die große Romanerzählung der Tradition des 19. Jahrhunderts wurde obsolet und ersetzt durch Schreibtechniken, die sich an den neuen Medien orientierten. Beispiel: Die Montagetechnik des Films schlug sich in bahnbrechenden und richtungsweisenden Werken wie dem „Ulysses“ von James Joyce nieder oder auch „Berlin Alexanderplatz“ von Döblin. Unsere Wahrnehmung ist auch eine des Films.
Geschirrsattlerei, das erweckte beim Anblick in der Totalen Neugierde bei mir. Potzdonner, dachte ich, altes Handwerk, ein seltener Fall. Und näherte mich, in die Halbtotale. Dort Irritation, leather for dogs, freaks and ….welch seltsame Mischung. In der Großaufnahme, direkt am Schaufenster der Aha-Effekt. Das Angebot war vielfältig, wenn auch nicht bunt, sondern schwarz. Nicht alle Gegenstände waren auf den ersten Blick so selbsterklärend wie die Lederleine für Hunde.
Im Flanieren kam ich dann ins Grübeln, was neben dem Genießen zentrales Moment des Flanierens ist. Sind derlei Fetische nicht die Verlängerung der verdinglichten Warenwelt des Kapitalismus in das Reich des Begehrens, somit ein Moment der Entfremdung und also ein Akt der Intimitätsdestruktion? Oder hatte Omma einfach Recht mit ihrem Diktum: Jedem Töpfchen sein Deckelchen?
Des Grübelns ward allerdings nicht lange. WG-Treff bei „Leydicke“. Ein über alle Maßen erfreuliches Etablissement, mit einer Aura bis ins 19. Jahrhundert, dessen Besitzer Raimon einer der wenigen Destillateure im Lande ist und fulminante Brände produziert.
Wir räsonierten über Gott und die Welt, den Klassenkampf und dass wir hier ja eigentlich die Grenze von Kreuzberg zu Schöneberg überschritten hätten. Ich las den „Anstoß“, das Organ der Berliner DKP.

Und Raimon brachte Bier, Bulletten und einen 50 % Schlehenbrand. Die Luft war milde, über allem eine entspannte Heiterkeit, am Ende der Straße prangte ein (ehemals ?) besetztes Haus in Graffitibunter Fröhlichkeit. Eigentlich war es eine Zeitkapsel, in der wir schwebten, 70er Jahre. Kann aber auch der Schlehenbrand gewesen sein.

18.07.2022 – Qual ins Grüne verlängert


Fitness-Fetischisten. Kreuzberger Park Gleisdreieck.
Ich brauche nur vor die Haustür zu treten und bin mitten in einer 300.000 qm großen Open-Air-Körperertüchtigungsarena, Park Gleisdreieck. Man muss dort als Normalfrequenzschreiter vorsichtig sein, um nicht von einer Armada von japsenden Joggerinnen, rasenden Radlern, sausenden Skaterinnen plattgewalzt zu werden. Das Ganze flankiert von einer Armee von schweissüberströmten Seilspringerinnen, Basketballern, Dehnungsübenden, Klimmzüglern …. man wird ganz wirr im Kopf nur vom Hinschauen.
Bestand ursprünglich bei der Planungskonzeption des einstmals größten Bahngeländes Europas die Befürchtung, dass sich bei der Parknutzung die gesellschaftliche Spaltung widerspiegeln würde: hie schicke Alternativszene, da Drogensumpf Görlitzer Park, hat sich das durch die Blockrandbebauung im Laufe der Jahre erledigt: Komplett schicke, hochpreisige Gentrifizierungsquartiere. Das spiegelt sich in der Park-Nutzung wider: keine ganzen Hammel am Migranten-Spieße wie auf dem Tempelhofer Feld. Nur junge, dynamische Hipsterinnen, die die Zumutung und Qual des kapitalistischen Joballtags in die Zumutung und Qual der Körperertüchtigung im Grünen verlängern, um sich fit zu machen, für die Zumutung und Qual usw. usf. Sisyphos und Tantalos in einem.
In einer Ecke spielen ein paar Rentnerinnen Boule. Ein seltsam entschleunigtes Moment von fast kontemplativem Ausmaß.

15.07.2022 – Dolchstoß-Legende


Steingarten. Ökologisches Desaster? Kommt drauf an. Der muss nicht gegossen werden und bei dem sich abzeichnenden katastrophalen Wassermangel ist die Ökobilanz dieser Vorgarten-Spießerhölle nicht mehr ganz so katastrophal. Ist alles eine Frage des Blickwinkels.
Blickwinkeln wir mal in Richtung Krieg. Wenn der Russe, fies wie er von Russennatur aus ist, uns den Gashahn nicht wieder aufdreht oder, wahrscheinlicher, den Stoff, der den Laden hier am Laufen hält, nur schubweise rausrückt, ist die Kacke am dampfen. Wenn der hiesige Mob dann als Folge von Rezession arbeitslos wird, im Winter die Bude nicht mehr warm kriegt oder gar der Malle-Urlaub ins Wasser respektive Kerosin fällt, dürfte die Pro-Krieg-Stimmung an der Heimatfront ganz schnell bröckeln. Fies wie der Mob von Natur aus ist, wird er sich ganz schnell auf der Straße zusammenrotten. Das hat der Mob als Coronaschwurbler gelernt, sich der Mittel des bürgerlichen Protestes zu bedienen. Ich sehe sie schon vor mir, die Schilder:“Olaf, gib uns unsere Jobs wieder, sonst machen wir hier alles nieder.“ Oder: „Wir wollen Gas!“
Spätestens dann ist der Ukrainekrieg beendet. Die Regierungsamtlichen Erklärungen sehen dann so aus: „Um dem heldenhaften ukrainischen Volk weitere Opfer zu ersparen, die Weltwirtschaft nicht in einen Abgrund zu stürzen und die Einwohner*innen der EU nicht weiteren unzumutbaren Belastungen auszusetzen, unterstützen wir die Bemühungen für einen Waffenstillstand in der Ukraine im Interesse aller Beteiligten.“
Daraus kann eine weitere Dolchstoß-Legende entstehen: Ukraine- im Felde unbesiegt.
Mit Konsequenzen, die noch garnicht absehbar sind. Zumindest von mir nicht.
Also hoffen wir darauf, dass der Russe bald wieder Gas gibt. Unberechenbar ist er ja, der Russe, von Natur aus. Dann brummt die Wirtschaft weiter, wir haben wenigstens 19 Grad in den Amtsstuben und der Krieg kann weitergehen.
Damit sind wir am Ende unserer Seminarreihe „Alles eine Frage des Blickwinkels oder: Wie erweitern wir unseren Fokus?“

14.07.2022 – Lieber der Spatz auf dem Panzer als ….


Lieber der Spatz auf dem Panzer als …. Vollenden Sie, lieber Leserinnen das nach Ihrem Gusto.
Gesehen am sowjetischen Ehrenmal im Berliner Tiergarten.
Die Folgeerscheinungen von Krieg sind Tod, Vertreibung, Seuchen, Hunger. Hunger gibt’s aber auch schon in Friedenszeiten und auch bei uns. Die Reallöhne sind seit 2020 um 1,2 Prozent gesunken, die Hartz-IV-Regelsätze um 3 Prozent erhöht.
Die Inflationsrate lag allein 2021 bei 3,1 Prozent, seitdem explodiert sie. 8 Prozent.
8 Prozent? Von wegen.
Hier eine Aufstellung von Lebensmittelpreissteigerungen von Ende 2019 bis heute (Dank an Bärbel K.!). Grundnahrungsmittel, für die Arme einen extrem hohen Anteil ihres Budgets ausgeben müssen. Sie sind fünfmal so hoch von der Inflation betroffen wie Normalverdienende.

Das günstigste Speiseöl 1l: 187%
Spaghetti Hartweizengrieß, 500g: 154%
Magerquark 500g: 85%
Dosentomaten 400g: 57%
Brötchen z. Aufbacken, 6 Stück: 57%
Weizenmehl 1kg: 51%
Joghurt, 3,5%, 4x150g: 51%
H-Milch 1l: 42%
Butter 250g: 38%

Ich versuche zurzeit, den Protest gegen Verelendung auf die Straße zu bringen. Fachtage, Erklärungen, Untersuchungen, PMs, alles blablabla. Wir haben kein Erklärungsdefizit, wir haben ein Handlungsdefizit. Eine zentrale Demo z. B. im Herbst in Berlin gegen gesellschaftliche Massenverelendung macht aber nur Sinn, wenn Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände das mittragen. Das Problem geht auch ihre Mitglieder an. Wenn die Energiepreiserhöhungen demnächst ins Haus flattern, dürfte auch mancher Frieda Normalverbraucherin schwarz vor Augen werden. Aber die Genannten zur Aktion zu bewegen, das ist echt Syphilisarbeit.
Was tun? Eine Alternative: »Für Herbst und Winter wäre es für uns Griechen eine große Freude, deutsche Rentner zu begrüßen, die einen ›mediterranen Winter‹ mit griechischer Gastfreundschaft, mildem Wetter und hochwertigen Dienstleistungen erleben möchten.«
Bevor Sie die Koffer packen, liebe Leserinnen, noch ein geldwerter Tipp. Wenn Sie ihre Energie selber ablesen und melden: Erkundigen Sie sich, wann Ihre Energielieferanten die Preise erhöhen. Die werden sich, ab September z. B., verdoppeln, in Einzelfällen verfünffachen. Lesen Sie kurz vorher ab und schlagen da 20 Prozent drauf, für den dann noch günstigeren Preis. Dann haben Sie für den folgende Ablesezeitraum 20 Prozent weniger Verbrauch zum höheren Preis Nicht zu hoch rangehen, das fällt auf. Die gesparte Kohle können Sie dann auf Kreta verbraten und Ihren ersten Cocktail auf mein Wohl schlürfen. Millionen werden aber ganz andere Probleme haben …

13.07.2022 – Down in their bunkers under the sea – Men pressing buttons don’t care about me


Die restlichen grünen Flecken kriegen wir auch noch weg. Erinnert mich an den Sommer 2018. Der hatte eine hitzebedingte Übersterblichkeit von 20.000 Menschen allein in Deutschland.
Und sonst so? Tanzbare Sommermusik. Red skies over paradise (a Brigthon dream) , Fischer Z. Der Song schildert die Zerstörung Londons durch Atomwaffen. Der Protagonist sieht das Ganze – vielleicht aber auch nur ein Alptraum -aus der Ferne der idyllischen Sommerfrische des Seebads Brighton.

My hand reached down for the radio
I held it up to my ear
The beads of sweat gathered
On my head and trickled down

Out in the park children were playing
Though it was dark, the sky glowed red
People were stunned, everyone’s waiting
Nobody knew why, but they know it now

The newsman said most of London’s gone
We saw the cloud rise from here
An ice cream van with it’s music
On goes round and round

Out in the park children were playing
Though it was dark the sky glowed red
People were stunned, everyone’s waiting
Nobody knew why, but they know it now

Down in their bunkers under the sea
Men pressing buttons don’t care about me

Der Song ist von 1981. Das gleichnamige Fischer-Z Album handelt von der Situation im Kalten Krieg Anfang der Achtziger. 1981 fand im Bonner Hofgarten eine Demo der Friedensbewegung mit über 300.000 Teilnehmenden statt. Einseitig sicherlich, überwiegend gegen Pershings und Cruise Missiles im Westen gerichtet, auch ein Song von Fischer-Z. Die SS20 der Sowjetunion waren nicht weniger vernichtend. Die Friedensbewegung hatte damals schon was esoterisches und nationalistisches, und man könnte überspitzt formulieren: Hat nicht die Anwesenheit von Atomwaffen den Frieden bewahrt? Kann man im Nachhinein so diskutieren. Andererseits:
Es gab mehrere Vorfälle, bei denen wir damals um Minuten am Atomkrieg vorbeirauschten, auf Grund technischer Pannen und Kommunikationsfehler. Bei der friedlichen Nutzung des Atoms hatten „wir“ in Tschernobyl und Fuckushima nicht soviel Glück. Und jedes Waffensystem hat die Tendenz, eingesetzt zu werden.
Über die Frage von Krieg und Frieden kann man diskutieren, kontrovers. So wie zu Zeiten der Friedensbewegung.
Der Song von Fischer-Z ist als Dystopie aktueller denn je. Im Unterschied zu damals findet aber kaum eine öffentliche Diskussion statt. Ein paar offene Briefe, die das anregen, die Schreiberinnen werden umgehend öffentlich niedergemacht. Ein paar Mahnwachen. Der Rest ist tanzbare Sommermusik:
Down in their bunkers under the sea
Men pressing buttons don’t care about me.
Genießen Sie den Sommer, liebe Leserinnen.