
Trügerische Idylle, Auflösung des Bildes vom letzten Eintrag. Die orangenen Punkte in der Mitte in der Bucht sind Tret- und Paddelboote. Nachdem diese Doppelbucht jahrelang unbelästigt von touristischem Dreck blieb, weil nur mühselig kraxelnd erreichbar, war sie heuer mit diesem Müll kontaminiert, den irgendein Verleiher dahingeschleppt hatte. Was zur Folge hat, dass jetzt Leute in die eigentlich noch schwerer erreichbare hintere Bucht am oberen Bildrand paddeln und dort ihren Müll hinterlassen, wo sonst nur selten Leute abhingen.
Die Buchten sehen mich nie wieder. Dann eben richtig mit Strand, Bar und Sonnenschirm. Einsame Geheimtipps gibt es eh nicht mehr in Zeiten von Instagram und Co. Alte touristische Erkenntnis: Was wir lieben, zerstören wir allein durch unsere Nähe. Ob das auch für andere Lebensbereiche gilt, überlasse ich der Urteilskraft der geschätzten Leserinnen. Alle Kultur, so auch Reisen, ist Aneignung, ob wir das wollen oder nicht. So stehen Natur und Kultur immer in einem oft unauflösbaren Spannungsverhältnis.
Grundsätzlich gibt es wenig Gebote für Kulturproduzenten, eins davon aber lautet: Du sollst nicht nach unten treten und nicht nach oben buckeln. Aus diesem Grund ist mir z. B. der Berufsstand Comedian, anders als Kabarett, ähnlich suspekt wie der des Immobilienmaklers, beide laben sich wie Aasgeier an den Eingeweiden einer verfaulenden Gesellschaft. Comedians sind oft reaktionär und vollkommen geist- und witzlos wie Mario Barth oder Dieter Nuhr, imitieren Menschen mit Handicaps aus dem Prekariat wie Paul Panzer. Sie treten nach unten und biedern sich an den herrschenden Zeitgeist an, der vom Geist der Herrschenden zersetzt ist. Natürlich gibt es Gegenbeispiele feministischer Ansätze wie Carolin Kebekus oder migrantische Comedy, aber tendenziell, siehe oben.
Das im Hinterkopf habend, folgende putzige Geschichte. Unlängst war ich beim Auftritt eines Comedians zugegen, der mich aus dem Publikum pickte, vermutlich weil etwas anders aussehend, nach Namen fragte und: „Was bist Du von Beruf?“
„Witze-Verleiher.“
„Was? Sowas gibt’s doch gar nicht. Wie soll das denn funktionieren?“
„Wenn Du für Deine Auftritte Material brauchst, leihst Du Dir bei mir paar Witze und zahlst mir nach einem Jahr das dafür, was sie Dir wert waren.“
„Welcher Comedian ist denn so bescheuert und macht sowas?“
„Wenn Du wüsstest, wer bei mir alles Kunde ist … “
„Erzähl doch mal!“
„Geschäftsgeheimnis.“
„Und kann man davon leben?“
Ich klappte mein Jackett Revers nach außen: „Weißt du, was auf diesem Etikett steht? …… Armani…“ (Steht natürlich nicht Armani drauf, man kann ja davon nicht leben. Noch nicht …)
Nach dem Auftritt saß er in einer Ecke und verklappte einen Drink. Ich sprach ihn an: „Das war doch ne 1a Steilvorlage für Dich“. Er, leicht angesäuert: „Alter, Du hast mich verarscht, sowas gibt’s doch gar nicht.“ – Ich: „Ich schick dir mal einen Link davon zu. Und eigentlich steht mir die Hälfte Deiner Gage zu.“
Der Mann ist, wie ich bei Recherche feststellte, erste Liga, tritt unter anderem in Berlin bei den Wühlmäusen auf und ist Deutschlands erfolgreichster Battle Rapper. Er ist Schwarzer, grundsympathisch und ich würde mich freuen, wenn er demnächst Hallen füllt, also Champions League.
Dann könnte ich behaupten, ich hätte mit dem mal einen Beef gehabt. Und bitte jetzt mal die Hand heben, wer weiß nicht, was ein Beef ist ….
20.05.2022 – Das war schon Quatsch vor der Wahl und das ist jetzt noch quätscher

Trügerische Idylle
Gestern verlautbarte der niedersächsische Finanzminister Hilbers in Pressegesprächen unter anderem, man solle angesichts der Inflation jetzt nicht zum Chef rennen und mehr Geld verlangen, weil dadurch eine Lohnpreis-Spirale in Gang gesetzt würde. Daraufhin fragte ein Medienvertreter nach, wie ich das einschätzen würde. Man kennt sich, schwätzt schon mal das eine oder andere private Wort und so nahm ich noch weniger Blätter vor den Mund als ohnehin:
Das ist doch Quatsch und so könne vielleicht ein Finanzminister reden, der mit 16 Riesen Brutto im Monat nach Hause geht. Für Millionen Niedriglöhnerinnen sei das völlig inakzeptabel etc. pp. In den 18 Uhr Nachrichten des Senders wurde dann Hilbers kurz im O-Ton zitiert, und danach:
„Alles Quatsch, so Klaus-Dieter Gleitze von der Landesarmutskonferenz ….“
Ich musste lachen, freute mich und grübelte, warum ich ausgerechnet „Quatsch“ gesagt hatte und nicht Blödsinn, Unfug, dummes Zeug … Was hatte da in mir gewaltet?
Und dann dämmerte es mir. Ich war auf den Spuren eines Titanen der frei vagabundieren Rhetorik gewandelt, des anbetungswürdigen Herbert Wehner, der in einem TV-Interview in der Nacht der Bundestagswahl 1969 vor der versammelten Medienmeute von 2 (!) Reportern, mehr Sender gab es damals nicht, mit einer qualmenden Pfeife im Mund unter anderem folgendes von sich gab: „ … Das wird ja versucht von der Hecke aus zu verschleiern…. Ob’s Wachslicht oder Talglicht war …“ Und dann als inkommensurable Climax:
„ Das war schon Quatsch vor der Wahl und das ist jetzt noch quätscher…“ ab 5.15
Dieser Sprachrhythmus, die Pausen, die Betonung, die Metaphern, die Mimik, das ist alles so überwältigend, so ragend über dem ganzen Einheitsblablabla-Dreck von heute, wo alle in dieselbe Rhetorikschule gehen und ich nach zwei Silben schon angeekelt wegschalte, dass ich vor Sehnsucht tief seufzen musste.
Lieber Onkel Herbert, falls Du das hier liest: Der Hilbers Quatsch ist eine winzig kleine Hommage von einem Verehrer.
16.05.2022 – Der röhrende Hirsch über dem Sofa

Mondaufgang am Strand.
Das Handyfoto vom Sonnenuntergang am Strand ist die digitale Entsprechung des Bildes mit dem röhrenden Hirschen über dem Sofa, einer vielgehängten, vermeintlich heilen Welt der Nachkriegszeit. Falsche Idylle, falsche Natur, falsche Ästhetik, Kitsch pur. Die Nachkriegszeit ist aber nichts anderes als die Vorkriegszeit und nun sind wir zwar nicht mitten drin, aber die Bedrohung rückt von der Peripherie immer näher. Das produziert Veränderungen, noch mehr als ohnehin, und nicht zum Guten, auch in den Köpfen. Sehnsüchte nach Idylle, Schönheit, heiler Welt nehmen zu. Verständlich. Und so gibt es hier, wo der Sonnenuntergang tatsächlich besonders prachtvoll ist, jede Menge Sunset Bars, Hinweise auf Sunset view points und zuverlässig setzt hier zum Sonnenuntergang hin ein steter Strom, soweit man bei den paar Hanseln und Greteln hier davon sprechen kann, von Sonnenuntergangsanbeterinnen in das Dorf auf dem Hügel ein, wo die Plasmaansammlung rot im Meer versinkt. Eins sein mit der Natur. Die Welt im Rücken lassen. Und tausend Handys klicken. Es ist ja auch ein schönes Licht, so milde, warm, zärtlich. Ganz anders als das gleissende, glitzernde, blendende, verzehrende fast, das die Sonne am Tag auf das türkisfarbene Meer wirft.
Das fahle Licht des Mondaufgangs aber, im Rücken des vom Sonnenuntergang verwöhnten kleinen Dorfes auf dem Ölberg, erfreute sich keiner großen Beliebtheit.
15.05.2022 – Glück und Paradies

Paradiesische Zustände. Glück ist kaum planbar, nicht zu fassen und flüchtig. Der Rest ist Zufriedenheit- wenn man Glück hat. The pursuit of happiness, das Streben nach Glück, ist in der Verfassung der USA als unveräusserliches Recht festgeschrieben und das Paradies als Quelle ewigen Glücks ist eine der ältesten Menschheitsheitsphantasien. Alles Übel dieser Welt setzte mit der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies ein. Sie mussten im Schweiße ihres Angesichts ihr Brot verdienen. Arbeit war in der Welt. Oje.
Die Geschichte ist gelogen. Adam und Eva sind freiwillig aus dem Paradies abgehauen. Wer will schon dauernd glücklich sein, nur im Paradies leben. Den Beiden war einfach langweilig. Das wahre Glück kann nur die genießen, die auch Niederlage kennt, Nackenschläge, Enttäuschung. Wie paradiesischer hinterher dann Zufriedenheit oder auch mal Glück. Immer nur Glück, Paradies ist in sich unlogisch und langweilig.
Da der Gott des alten Testaments, der angebliche Adam und Eva-Vertreiber, aber rachsüchtig war, beschloss er die Geschichte umzuschreiben. Diese Schmach, hauen die einfach ab!, wollte er nicht auf sich sitzen lassen. So beauftragte er einen alten Zausel, das Ammenmärchen so zu verfassen, wie wir es heute kennen. Er köderte den Mann mit dem Versprechen, Männern mit dieser Geschichte die Verfügbarkeit über den Körper der Frau zu gewähren, abgeleitet aus der Herkunft Evas aus der Rippe Adams, und sich den Mehrwert fremder Arbeit aneignen zu können, wo immer möglich.
Und so kam das Patriarchat und der Kapitalismus in die Welt, obwohl die ursprüngliche Geschichte ganz anders war. Eine Schande, dass es Jahrtausende brauchte, bis jemand, ich nämlich, das mal gerade gerückt hat. Aber wenn es darum geht, Gott einen reinzuwürgen, bin ich immer gerne dabei. Und jetzt muss ich wieder meinen Ranzen schnüren. Dem Glück entgegen.
13.05.2022 – Viel Lärm. Um Nichts?

So gesehen, sieht die Welt doch ganz passabel aus. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie schnell sich unter der Sonne des Südens das Denken verflüchtigt. Was nicht an der Menge geistiger Getränke liegt. Beim Wandern trägt man grundsätzlich zwei Rucksäcke: einen mit Wasser, Proviant, Sonnencreme und einen mit Erinnerungen und Gedanken. Der Erste wird immer schwerer, obwohl das Wasser weniger wird, der Zweite wird immer leichter, obwohl ich mir gerne vornehme, im Akt des Schreitens für Klarheit im Hirn zu sorgen. Spätestens an der ersten steilen, sonnendurchglühten sich endlos hinziehenden Steigung erledigt sich das. Man besteht nur noch aus dem Pochen der Halsschlagader und Keuchen. Denken ist Luxus. Und wird überschätzt. Am Ende lande ich doch immer in einer Taverne und im Meer. Da ist Denken auch nicht der Sache förderlich. Lustiges gibt es auch. Ob man wirklich so einen Gesichtsausdruck hat, wenn man über die Klippen 200 Meter tief segelt?

Eigentlich wollte ich was über Lärm schreiben, siehe Überschrift. Aber irgendwie hab ich den Faden verloren. Macht nix. Wozu brauch ich hier Fäden.
07.05.2022 – Die Farbe Rot

U-Bahnhof Fehrbelliner Platz, Berlin. Dieses Foto fällt in meinem Ordner selbst in der Miniaturansicht unter Hundertern sofort ins Auge. Live ist das eine regelrechte Augen- und Mentalitätsattacke, wenn man aus dem überaus gediegenen, von Stuckverzierten Altbauten geprägten Güntzelkiez und Bayrisches Viertel tritt und auf diese U-Bahnstation schaut. Popart pur. Das Rot ist so rot, dass der Bildschirm Schwierigkeiten in der Verarbeitung hat. Flimmern und Schlieren. Noch heute, im Zeitalter digitaler Bildwelten, gilt für TV-Kameras: Kleine Karos und Rot vermeiden. Kriegt man als erstes für längere Auftritte im TV ans Herz gelegt: Keine kleinen Karos. Ist sowie nicht mein Ding. Und das mit dem Rot ist für linke Parteien echt Scheiße.
Wer ins faszinierende städtebauliche Detail der U-Bahnstation gehen will, ist hier gut bedient. So wie in Musik und Literatur ein Rhythmuswechsel durchaus förderlich ist, um Spannungsbögen aufrecht zu halten, so ist es beim Flanieren. Nichts wäre öder, dauerhaft in den zugebenen überaus angenehm anzuschauenden, von geschmackvollen Restaurants, Bars, Galerien, Boutiquen geprägten Kiezen in Charlottenburg und Wilmersdorf zu wandeln, die gepflegten Plätze zur Muße nutzend, Viktoria-Luise Platz, Prager Platz, Ludwig-Kirch-Platz. Nach soviel gediegener Bürgerlichkeit tut der postproletarische Pop am Fehrbelliner Platz dem eingeschläferten Gemüt wohl und es gelüstet den subkulturell sozialisierten Flaneur nach mehr, nach Schmutz, Unordnung, Aufruhr. Wenn sich Dunkelheit naht, lockt SO 36, Oranienstr. Adalbertstr., mit Kneipen wie Trinkteufel und Jodelkeller. Aber nicht zu lange. Es gilt, das Zertifikat des VHS Kurses „In Würde altern“ zu erwerben und alsbald überfällt den Flaneur eine Zivilisationsmattigkeit. Metropolenmüde sehnt er sich nach Ruhe, weitem Blick, Natur, Meer, Sonne, Strand.
Rhythmuswechsel. Wenn es einen Cocktail gäbe gegen Langeweile, wäre das eine zentrale Ingredienz.
Aber wenn es Sie, liebe Leserinnen, mal nach Berlin verschlägt, sollten Sie sich die U-Bahnstation Fehrbelliner Platz nicht entgehen lassen.
06.05.2022 – Wellgunde, Woglinde und Floßhilde

Hagen versenkt den Nibelungenhort. Peter von Cornelius, 1859. Aus der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“, Deutsches Historisches Museum Berlin. Die Ausstellung ist in mehrere Themenbereiche gegliedert wie Entfremdung und Zugehörigkeit, Eros und Ekel. Diese vier Gefühle standen im 19. Jahrhundert im Mittelpunkt der Versuche, Identität zu definieren. Der Komponist Richard Wagner nahm sie auf und machte sie „deutsch“. Bei derartigen Gefühls-Konstellationen wundert es nicht, dass Wagner notorischer Antisemit und Hitlers Lieblingskomponist war. Seinen Ring der Nibelungen kann man als konstituierendes Werk für deutsches Nationalgefühl lesen. Der arisch-blonde Recke Siegfried wird hinterrücks vom düster-verschlagenen Hagen ermordet, was auch antisemitisch zu lesen ist.
Umso drolliger fand ich Hagens Darstellung auf dem Bild oben. Eher ein schwuler, leicht tuntiger Balletttänzer und nicht die sonst übliche Anmutung eines düster-muskulären Zausels.
Ich musste vor dem Bild lachen und guckte mir den Schwulst genauer an. Die Rheintöchter Wellgunde, Woglinde und Floßhilde sind schmalbrüstig-androgyn dargestellt und nicht mit üppigen Brüsten ausgestattet wie sonst genreüblich. Heute würde man formulieren: Der Maler hat hier ein Eros dargestellt jenseits von Heteronormativität. Was umso bemerkenswerter ist, weil der Maler von Ideologie und künstlerischer Ausrichtung her eher rückwärtsgewandt bis reaktionär war und mit Sicherheit ein über die Heteronormativität hinausgehendes Eros als undeutsch abgelehnt hätte, siehe Ekel.
Offensichtlich hat in seinem Bild sein Begehren sich quasi hinter seinem Rücken Bahn gebrochen. Es bricht eben immer durch, was in uns waltet und wütet, lässt sich nur begrenzt kontrollieren, kanalisieren, sublimieren. Es beschert uns Erhabenes und Lächerliches, siehe oben. Bei all dem Schwulst und Kitsch, dem eine klebrig-braune vorgestrige Patina anhaftet, gilt es zu bedenken, dass Wagner und Cornelius Zeitgenossen von Marx waren, der zwar in seiner Frühzeit auch üble antisemitische Anwandlungen hatte, dem man aber eins nicht nachsagen kann: Kitsch und Vorgestrigkeit.
Die Geschichte ging übrigens für Hagen nicht gut aus. Er wurde von Wellgunde, Woglinde und Floßhilde in die Tiefen des doitschen Vater Rhein gezogen und es bleibt der Phantasie der Leserinnen überlassen, was die vier da in der Phantasie von Peter von Cornelius wohl getrieben haben ….
05.05.2022 – Der der Normalität entwöhnte Blick

Der Chip-Körper. Demo Berlin.
Dass einem in Berlin alle Naslang unnormales vor die Augen kommt, ist völlig normal. Das ist mitunter bedrückend, wenn es sich um Elend handelt, das es hier geballter, offener und brutaler gibt als im Rest der Republik. Meist aber ist es skurril, lächerlich, erhaben, immer aber anregend bis lehrreich. Die Welt ist eben anders als im eigenen Kopf, vom eigenen Spießerkiez mal ganz zu schweigen.
Das Thema „Chip im Körper“ ist in den Wahnwelten gepeinigter Wesen nicht neu, hat aber durch Corona neue, enorme Schubkraft gewonnen. Keine Schwurblerdemo ohne den Hinweis auf die Mikrochips im Impfstoff, die uns unfruchtbar machen sollen im Auftrag der Merkel-Echse (Wo doch Scholz viel echsiger ist, seine Scholzomaten-Visage erinnert mich immer an meine Lieblingsechse, den Scheltopusik) .
Ach, wenn es doch nur so wäre mit dem unfruchtbar.
Ich weiß nicht genau, wo die inhärente Logik, die Kausalität liegt zwischen dem tendenziellen Fall der Profitrate (das Kapital macht auf Grund seiner inneren Gesetzmäßigkeit kontinuierlich weniger Reibach) und dem der Größe von Mikrochips. Also wie genau je mehr Digitalisierung, desto weniger Profit bei der Kapitalseite. Man darf sich dabei nicht blenden lassen durch den extremen Reichtum der paar Tech-Titanen wie Fuckerberg, Bezos, Gates, Musk. Diese Oligopole sind nicht die Regel, nicht die Masse. Tatsache ist, dass jede neue Produktionsform, wie industrielle oder digitale Revolution, eigene Gesetzmäßigkeiten produziert, was Profit, Beschäftigung, Demokratie, Konsum, aber auch Bewusstsein, Körper und Krankheiten angeht. Die wachsende Mobilität z. B. im 19. Jahrhundert mit der als rasend wahrgenommenen Geschwindigkeit des neuen Transportmittels Eisenbahn (weit über 20 kmh!) hatte natürlich Auswirkungen auf die Individuen und für Fortschrittsgegner war klar: Bahnreisen sind lebensgefährlich wegen der extremen Geschwindigkeit und allein der Anblick macht krank, verrückt, hysterisch. Hysterie war noch zu Freuds Zeiten eine beliebte Diagnose, bei Frauen. Diagnose war Männersache damals. Dass die Diagnostiker selber meist viel mehr Latten am Zaun locker hatten, war eine späte, eher feministische Erkenntnis.
Die schrumpfende Größe von Mikrochips, bei denen sowieso kaum jemand weiß, wie sie aussehen und funktionieren, und ihre rasend wachsende Leistungsfähigkeit hat natürlich auch Auswirkungen auf die Individuen, ihre Phantasien und Pathologien. Was ich nicht erkenne, begreife ich nicht, das ist bedrohlich. Der Mikrochip ist eine ideale Projektionsfläche für Menschen, die vom rasenden Wandel erschöpft, überfordert, bedroht sind. Solche Bilder wie oben, der Normalität entwöhnt, sind kein Einzelfall, und tauchen zwangsläufig gehäuft bei Schwurblerdemos auf.
Die Frage ist für mich, wie man sich dem Wandel gestaltend nähert und gewinnbringend integriert in den Alltag.
Hört sich toll an, bringt mich aber xmal am Tag auf die Palme. Auf den mir bekannten Bahnsteigen im Berliner Hauptbahnhof gibt es z. B. keinen Wagenstandanzeiger (Wer hat sich das Wort ausgedacht?) in Papier mehr. Also musste ich mir noch eine verf…. App runterholen.
Und was machen die 50 Prozent aller über 65jährigen, die kein Smartphone nutzen?
Unnormal-heiteres zum Schluss, aus dem Bergmann-Kiez in Kreuzberg

Ich hab das Dreier-Set genommen.
01.05.2022 – Seine Lehre ist unsere Leere

Er wies uns den Weg. Wir sind dann irgendwann falsch abgebogen.
Aus der Marx Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Zum 1. Mai muss ja irgendwas Kritisch-Lustiges hier rein. Was zum Schmunzeln. Nachher erst meine eigene Mai-Demo, dann die Traditionsschnarchsack-Demo vom DGB und danach die revolutionären 1. Mai-Demo Neukölln-Kreuzberg. Vielleicht schalte ich später noch paar Live-Impressionen. Eins ist sicher, heute Nacht werd ich gut Bubu machen. Hoffentlich nicht in einer Polizei Zelle. Bleiben Sie drin, es wird spannend.
….
9.54 Uhr: Auf „I’m against it“ Tour vom Brandenburger Tor über DGB Rednertribüne zu Panzer am sowjetischen Ehrenmal.

12.58 Uhr: Für die Wiederschmiedung der IV. Internationale! Nieder mit der V. Internationale!!! Für die Niederschmiedung der III. Internationale!!!

Es gibt so unfassbar viele schräge Vögelinnen in Berlin und sie treffen sich alle am 1. Mai. Eine erfrischende Abwesenheit von Normalität…
19.32 Uhr: Revolutionärer 1. Mai in Kroizberg?

Eher autobefreite Partyzone vom „Trinkteufel“ bis zum „Jodelkeller“. Wie Karneval der Kulturen. Nur ohne Karneval und ohne Kultur. Ermattet mache ich mich auf den Heimweg, von SO 36 nach SW 61. Hubschrauber Geknatter begleitet mich…
28.04.2022 – Ohne Moos nichts los

Ich hab im Garten Moosplatten gepflanzt an schattigen Stellen. Alle eingegangen. Für Moos hab ich kein Händchen. Ans Moos wird es aber vielen gehen, wenn die nächste Rezession hereinspaziert. Ante portas ist sie schon, sie klopft mittels Gashahn an, den der Russe uns demnächst abdreht. Dann wird ein wüstes Hauen und Stechen einsetzen, in welcher Reihenfolge welchen gesellschaftlichen Gruppen und ökonomischen Sektoren zuerst der Hahn abgedreht wird. Private Endverbraucher, Industrie, öffentlicher Sektor, Brauereien ….?
In neoliberaler Logik regelt sowas der Preis. Die Preise werden natürlich explodieren, im Moment explodiert ziemlich viel, und wer nicht mehr zahlen kann, kriegt keinen (Energie-)Stoff mehr. Ganz so rabiat wird der Staat nicht vorgehen, weil ihm sonst der Laden eventuell um die Ohren fliegt. Aber interessant werden auch die Verteilungskämpfe innerhalb der Kapitalfraktionen, zum Beispiel Chemie vs. Autoindustrie. Chemie brauchen wir permanent für laufende Prozesse, Schmierstoffe im wahren und übertragenen Sinn. Aber Autos? Denkbar wäre also ein Produktionsmoratorium für die Autoindustrie mit ihrem riesigen Energiebedarf.
Aber wie reagiert der Auto-Mob darauf? Gibt es dann Demos von SUV-Käufern, die ein Menschenrecht auf Lieferung ihrer bestellten Panzer verletzt sehen? Auf jeden Fall wird die gewerkschaftlich gut organisierte Facharbeitergang der IG Metall auf den Straßen unterwegs sein, wenn denen Kurzarbeit Null droht. Da werden sich Kapital wie VW, BMW etc. und Staat die Differenz zwischen Kurzarbeitergeld und letztem Nettolohn wohl teilen, um den gemeinen Facharbeiter wieder von der Palme resp. Straße zu holen. Wieviel dann fürs Prekariat übrig bleibt ….? Die Verteilungskämpfe zwischen den Fraktionen Chemie und Auto sind schon in vollem Gang. Gerüchteweise sollen sich die Spitzen der auf Co-Management zurechtgestutzten zahnlosen Gewerkschaften IG Metall und IG BCE hinter verschlossenen Türen schon wie Kesselflicker in die Wolle kriegen. Von dieser gekauften Renegatenclique, diesen Bettvorlegern des Kapitals, darf sich der klassenbewusste Revolutionär nicht aufhalten lassen.

Sein Platz am 1. Mai ist auf der Straße! Echt nur mit roter Nelke! Heraus zum 1. Mai. Und zum 2.! Schafft ein, zwei, drei, viele 1. Mai.
Scheißt der Hund im Mai, ist der April vorbei.

